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Holzminden

NS-Zwangsarbeit

Zahlreiche ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene befanden sich während des Zweiten Weltkrieges im Raum Holzminden, wo sie flächendeckend zur Arbeit in der Landwirtschaft und unterschiedlichen Betrieben eingesetzt wurden.

Landwirtschaft und Forst

Mehrere kamen direkt auf landwirtschaftlichen Betrieben unter. Drei polnische Familien lebten und arbeiteten auf dem Gut Hohe Eiche, darüber hinaus eine neunköpfige slowakische Familie und mindestens ein Luxemburger. Auf der Domäne Allersheim waren bereits vor dem Krieg polnische Saisonarbeiter untergebracht; während des Krieges lebten dort nun rund 20 polnische ZwangsarbeiterInnen; weil einige während der Ernte 1942 die Sonntagsarbeit verweigerten, wurden sie misshandelt, einer starb an den Folgen.

Der Forst war ein weiteres Einsatzgebiet ausländischer Arbeiter. Ein russisches Kriegsgefangenenkommando befand sich seit 1943 in einer Baracke neben dem Gasthaus Sollingruh am Wildbach Dürre Holzminde, Mühlenberg. Die Insassen mussten im Wald arbeiten. Zwei von ihnen starben nach Fluchtversuchen bzw. wurden ermordet. Die Situation im Lager verbesserte sich erst später durch die Ablösung des Wachhabenden. Ein weiteres Gefangenenlager wurde 1944 an der Gehrenstraße eingerichtet; einer Schätzung zufolge waren dort rund 60 Italiener interniert; diese Baracken dienten nach dem Krieg als Unterkunft für deutsche Soldaten und später für Flüchtlinge.

Lager, deren Insassen überwiegend im Forst arbeiteten, existierten darüber hinaus 1943/44 in Torfhaus (12 Ukrainer der Holzfirma Kellner), ab 1940 in einer Baracke in Neuhaus, Am Roten Wasser 6, (nacheinander 50 französische und russische Kriegsgefangene) sowie eines in Fohlenplacken. Letzteres wurde im heute nicht mehr erhaltenen Saal des Gasthauses Zum Grünen Kranze eingerichtet; zumindest die dort internierten 22 russischen Kriegsgefangene arbeiteten für die Revierförsterei Otterbach.

Öffentlicher Sektor

Ebenso profitierte der öffentliche Sektor von ausländischen Arbeitern. So war die Stadt Holzminden Träger eines 1942 errichteten Gemeinschaftslagers an der Ecke Charlotten- / Bebel- / Liebigstraße. Hier lebten Russen und Ukrainer, die Hälfte Frauen, außerdem einige Kinder. Mit bis zu 400 Personen waren die Baracken deutlich überbelegt. Die Arbeiter wurden im August 1942 bei 12, zuletzt bei 23 verschiedenen Betrieben eingesetzt. Die Lebensbedingungen im Lager waren unmenschlich, die Ernährung unzureichend; Fluchtversuche sind überliefert. Auch eine Sanitätsbaracke wurde hier 1943 eingerichtet.

Ein weiterer ‚Arbeitgeber’ in war die Deutsche Reichsbahn. Ab 1940 beschäftigte sie insgesamt rund 170 auf dem Gelände des Bahnbetriebswerks Holzminden untergebrachte Zivilarbeiter und Kriegsgefangene. Diese kamen aus sechs verschiedenen Nationen, v.a. den Niederlanden, Russland sowie Italien; unter ihnen befand sich auch eine russische Familie. Eingesetzt wurden sie zu Gleisbauarbeiten auf der Strecke Höxter-Holzminden-Stadtoldendorf, im Betriebswerk und der Verwaltung, als Heizer sowie zu Verladearbeiten. Das Essen im Lager war deutlich mangelhaft. Über ein weiteres Lager in der Gastwirtschaft Heller, Altendorf, wurde im Jahr 1940 zumindest verhandelt.

 Industrie

Mehrere Rüstungsbetriebe waren in der Stadt Holzminden ansässig. Auch sie waren während des Krieges auf die Arbeitkraft ausländischer Zivilarbeiter und Kriegsgefangener angewiesen. So beschäftigte die Holzwarenfabrik Ulrich insgesamt rund 76 ausländische ArbeiterInnen im Betrieb; bereits ab 1940 lebten im Fabrikgebäude ungefähr zehn Polinnen, später zudem rund 20 Ukrainerinnen; ab 1942 wurden außerdem 46 RussInnen aus dem städtischen Gemeinschaftslager beschäftigt, darüber hinaus evtl. auch Ukrainer und Franzosen. Sie wurden verhältnismäßig gut behandelt, das polnische Dienstmädchen wurde von der Familie Ulrich sogar verbotenerweise mit ins Kino genommen. Anwohner der Sollingstraße versteckten Brote, die sich die Russen auf dem Weg zur Arbeit abholen konnten.

Nach längerer Planung wurde 1943/44 ein Teil der Stiebel Eltron Werke wegen Bombenangriffen aus Berlin nach Holzminden verlagert. Das Werk in Holzminden beteiligte sich an dem „Jägerprogramm“, so u.a. an der von VW geleiteten V1-Produktion. Im Betrieb wurden ab 1944 zahlreiche ausländische Personen eingesetzt. Mindestens 80 italienische Militärinternierte wurden in einer eigens errichteten Baracke hinter der Rohrkrämer-Halle untergebracht, Russen im Gebäude der ehem. Rohkrämerschmiede; unter letzteren soll es mehrere Tote gegeben haben, vermutlich auch aufgrund von Misshandlungen des zuständigen Wachmanns. Eine unbekannte Anzahl von „Ostarbeiterinnen“ kam in Baracken auf dem Stiebel-Gelände unter. Rund 80 Russen und Polen lebten zudem in Eisenbahnwaggons, die dort auf einem Nebengleis standen; auch weitere ca. 80 Ausländer aus dem städtischen Gemeinschaftslager mussten in diesem Betrieb arbeiten. Einige Belgier und Franzosen wurden darüber hinaus privat untergebracht.

Die große Halle der ehem. Firma Rohkrämer diente seit 1936 als Lagerhalle der Münsterischen Schiffahrts- und Lagerhaus-Aktiengesellschaft Hamm, teils auch der Fa. Rieke. Laut Aussagen haben dort Italiener gearbeitet; vermutlich waren sie zusammen mit jenen bei Stiebel Eltron beschäftigten in der benachbarten Baracke untergebracht.

Bei der Braunschweigischen Holzverzuckerungsgesellschaft lebten und arbeiteten 110 „Ostarbeiter“ und italienische Zivilarbeiter. Die Italiener mussten einen Abwasserkanal von der Rumortalstraße zum damaligen Klärteich, der Tongrube Ritterbusch, graben. Heute gehört das Fabrikgelände der Symrise Gmbh & Co. KG. Die auf Rüstungsproduktion umgestellte Holzfabrik Becker, Fürstenberger Straße, beschäftigte darüber hinaus mehrere Russen und Polen, die im betriebseigenem Lager unterkamen. Genaueres ist hierzu nicht bekannt. Mit Kriegsbeginn setzten auch die Weserholzsperrwerke (Mösges) polnische Arbeiter ein, 1942 kamen 42 RussInnen hinzu, die aus dem städtischen Gemeinschaftslager umgesiedelt wurden. Deutsche Arbeiterinnen ließen ihnen heimlich Brote zukommen. Ferner setzte die Deutsche Spiegelglas AG während des Krieges einige „Ostarbeiter“ in ihrem Zweigwerk in Grünenplan, Heinanger, ein.

Auch in anderen industriellen Betrieben Holzmindens arbeiteten ausländische Zwangsarbeiter. Die Glashüttenwerke Holzminden AG beschäftigten zu Beginn der 1940er Jahre acht Polinnen und ab 1943/4 insgesamt 23 hauptsächlich sowjetische Arbeiter, die Hälfte Frauen. Überdies arbeiteten und lebten bei der Betonbaufirma Habermann & Guckes-Liebold AG mehrere ausländische Personen; allein Ende 1941 waren dies 23 Italiener. Ein ‚Arbeitgeber’ war auch die Ziegelei Ritterbusch in der Nordstraße. Bis 1940/41 wurden im Betrieb Tschechen beschäftigt, die vor Kriegsbeginn schon freiwillig dort gearbeitet hatten; später kamen italienische Militärinternierte hinzu. Auf dem alten jüdischen Friedhof am Beukampsborn wurden Zwangsarbeiter des Zweigwerkes Glasfabrik DESAG, Grünenplan (Delligsen), untergebracht; nach dem Krieg wurde die dortige Baracke zunächst als Behelfsheim genutzt und stand dort noch bis 1987.

Weitere, kleinere Lager für ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene befanden sich auf dem Standortübungsplatz bei Holzminden (10-20 russische Kriegsgefangene) und in der heutigen Stadthalle (rund zehn Polen), außerdem eines im Beukampsborn 12 (ebenfalls Polen), ein Gebäude des Betonsteinwerkes Specht.

In Holzminden starben offiziell 122 ausländische Arbeiter, darunter auch schwer Kranke aus der Region. Die kleinsten Anschuldigungen konnten für ausländische Zwangsarbeiter zudem härteste Strafen bedeuten; es gab jedoch ‚nur’ zehn offizielle Verhandlungen, die das gesamte Kriesgebiet betrafen – aufgrund von „Diebstahl“, unerlaubter „Arbeitsplatzwechsel“ u.a., – die hauptsächlich mit Gefängnisstrafen, in drei Fällen mit Geldstrafen und in einem Fall mit der Einweisung in ein KZ endeten.

Ein über die Arbeit hinausgehendes Verhältnis mit einer ausländischen – v.a. polnischen oder sowjetischen – Person oder einem Kriegsgefangenem zog schwerwiegende Folgen nach sich, soweit dieses entdeckt wurde; ein Arbeiter der Fa. Uhlrich in Holzminden kam aus diesem Grund zeitweise in ein Konzentrationslager.

Entbindungsstation und „Ausländerkinderpflegestätte“

Im Gemeinschaftslager der Stadt Holzminden bestand eine „Verwahrstation“ für schwangere Polinnen und „Ostarbeiterinnen“, das Vorhandensein einer entsprechenden Entbindungsstation in der Stadt ist anzunehmen, jedoch nicht gesichert überliefert. Ab Mai 1943 wurde eine Russin als „Kinderpflegerin“ im Gemeinschaftslager beschäftigt. Auf diese Weise sollte sichergestellt werden, dass die Frauen – bis ca. 1943 aufgrund von Arbeitsunfähigkeit häufig in ihre Heimat zurückgeschickt – schnellstmöglich wieder an ihre Arbeitsstätten zurückkehren konnten. Die Sterblichkeitsrate aufgrund von Unterernährung und vermutlich unzureichender Hygiene war hoch, allein zwischen Dezember 1943 und Februar 1944 starben im Lager 15 von 22 Säuglingen.

 

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