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    Moringen

     

    Männer-Konzentrationslager

    Im April 1933 wurde in Gebäuden des Preußischen Werkhauses in Moringen, zwischen der Langen Straße und der Mannenstraße, eines der ersten Konzentrationslager im Deutschen Reich eingerichtet – ein KZ für Männer aus der Provinz Hannover. Zunächst „Konzentrationslager für kommunistische Polizeihäftlinge“ genannt, wurden hier bald auch u.a. in „Schutzhaft“ genommene Gewerkschafter und Sozialdemokraten inhaftiert. Sie kamen aus der unmittelbaren Umgebung, Hannover sowie der Harzregion und blieben durchschnittlich neun Wochen im Lager. Während dieser Zeit arbeiteten die meisten in Betrieben des Werkhauses, andere auch in Arbeitskommandos beim Straßenbau an der Stennebergsmühle nördlich der Stadt. Durch einen Hungerstreik im Juni konnten die Häftlinge nur eine kurzfristige Verbesserung ihrer Situation erreichen; als im August die SS das Lager übernahm, verschlimmerten sich die Verhältnisse drastisch. Im sogenannten „Freudenzimmer“ wurden Häftlinge nun häufig misshandelt. Nach Schätzungen durchliefen rund 1.000 Männer das Lager. Mit Einrichtung eines Frauenkonzentrationslagers im November des Jahres wurden die männlichen Häftlinge entlassen bzw. an die Emslandlager sowie die KZ Oranienburg und Brandenburg / Havel überwiesen.

    Frauen-Konzentrationslager

    Bereits ab Juni 1933 war dem Männer-KZ eine „Frauenschutzhaftabteilung“ angeschlossen. Die ersten weiblichen Häftlingen waren die Kommunistinnen Hannah Vogt und Marie Peix. Im Jahr darauf wurde das KZ Moringen zum zentralen Frauen-KZ Preußens, ab Ende 1935 wurden auch „Schutzhäftlinge“ aus anderen Ländern dorthin überwiesen, darunter viele aus Bayern. Über die Jahre gesehen waren rund 1.350 Frauen im Lager interniert: Kommunistinnen und einige Sozialdemokratinnen, ab 1935 Zeuginnen Jehovas (über die Jahre gesehen fast die Hälfte der weiblichen Häftlinge), jüdische Remigrantinnen und „Rassenschänderinnen“ und ab 1936 zudem „Berufsverbrecherinnen“. Entlassungen waren möglich, bei jüdischen Frauen aber nur unter der Voraussetzung einer anschließenden Emigration. In der Regel musste zuvor schriftlich bekräftigt werden, sich nicht mehr gegen das NS-Regime zu betätigen, sprich Zeugen Jehovas mussten ihrem Glauben und Kommunistinnen ihrer widerständlerischen Tätigkeit abschwören.

    Untergebracht waren die Frauen im sogenannten Frauenhaus im hinteren Teil des Werkhauses. Die Schlafsäle waren nicht beheizbar. Obgleich grundsätzlich Arbeitszwang bestand, war die Arbeit noch von untergeordneter Bedeutung. Die Häftlinge verrichteten Stopf- und Näharbeiten, z.B. für das Zuchthaus in Göttingen oder das Winterhilfswerk. Es wurde fast als Privileg betrachtet, in der Erntezeit auf dem Feld arbeiten zu müssen. „Ohne den geringsten Lichtblick, ohne inneren Auftrieb, ohne Glauben an eine bessere Zukunft schleppt man sich müde und resigniert weiter. […] Zuwider ist einem die ganze Zwecklosigkeit und Sinnlosigkeit dieses Lagers. [...] Bleibt man hier lebendig begraben?“ (1)  Im Frühjahr 1938 wurde das KZ Moringen geschlossen und die zu dem Zeitpunkt etwa 500 Frauen in drei großen Transporten in das KZ Lichtenburg (Sachsen-Anhalt) überführt und viele von ihnen 1939 weiter nach Ravensbrück. Dort wurden sie zum Teil auf unterschiedliche Außenlager aufgeteilt, darunter das Frauenlager Auschwitz, SS-Lebensborn Steinhöring, Neu-Rohlau, u.a.m. Nicht alle überlebten die Inhaftierung in den späteren Lagern.

    Jugend-Konzentrationslager

    Im August 1940 wurde auf dem Gelände erneut ein KZ eingerichtet, und zwar für männliche Jugendliche. Ihm war ein pseudo-erzieherischer Zweck zu Grunde gelegt worden. Einweisungsgründe waren u.a. die Vorwürfe der „Arbeitsverweigerung“, Zugehörigkeit zu den „Swing-Kids“, Homosexualität, religiöse oder rassistische Gründe sowie generell ein oppositionelles oder als „asozial“ gebrandmarktes Verhalten. Insgesamt waren rund 1.400 Jugendliche zwischen 13 und 22 Jahren in Gebäuden des Werkhauses (Lager I) untergebracht. Ab 1941 bestand zusätzlich ein nebenan errichtetes Barackenlager (Lager II). Die Häftlinge wurden dabei in unterschiedliche Blöcke eingeteilt, entsprechend pseudowissenschaftlich-kriminalbiologischer Kriterien. Prügelstrafe war an der Tagesordnung, die Ernährung mangelhaft. Im Gegensatz zu den beiden vorherigen Konzentrationslagern gab es hier Häftlingskleidung.

    Die Jugendlichen wurden an vielen unterschiedlichen Arbeitsstellen in der Region eingesetzt, so u.a. in den Werkstätten und Innendiensten des Landeswerkhauses, in der umgebenden Landwirtschaft (v.a. bei der Ernte), bei Luftschutzarbeiten und Flussregulierung der Leine. Die Firma Piller aus Osterode, die Ende 1942 einen Zweigbetrieb in Moringen aufzog, gehörte zu den größten ‚Arbeitgebern’; allein Ende 1944 beschäftigte sie 270 Häftlinge, die jeden Morgen und Abend mit Holzschuhen zwischen KZ und Fabrik durch das Dorf liefen. Darüber hinaus griff die Northeimer Stadtverwaltung 1942 für Uferausbesserungsarbeiten an der Rhume auf Häftlinge des Jugend-KZ zurück. Weitere Einsatzstellen waren u.a. die Portland-Zementwerke in Hardegsen, die Zuckerfabrik und der Autobahnbau (für die Firmen Waiß & Freitag und Franke-Pfahl) bei Nörten-Hardenberg, Kabelverlegen für die Reichspost sowie Gleisarbeiten für die Reichsbahn in Moringen. Vereinzelt beschäftigten SS-Angehörige Häftlinge auch privat. „Das jährliche Lohneinkommen aus der Arbeit der Lagerzöglinge hat den Betrag von 1.000.000 RM bereits weit überschritten. Die Gesamtausgaben des Jugendschutzlagers [...] bleiben mit mehreren hunderttausend Reichsmark hinter den Einnahmen zurück, so daß die Bewahrung und Erziehung der Lagerzöglinge den Staat und damit den Steuerzahler nicht nur nicht belastet, sondern sogar entlastet.“ (2)

    Außenlager des Jugend-KZ bestanden ab Frühjahr 1944 bei der Muna in Volpriehausen (Uslar) – hier mussten bereits in den Vorjahren Häftlinge untertage Zwangsarbeit leisten – sowie ab Sommer 1943 beim Reichskriminalpolizeiamt in Berlin-Weißensee, Smetanastr. 53. Über letzteres ist nur sehr wenig bekannt.

    Zahlreiche Fluchtversuche sind dokumentiert, die Häftlinge wurden in der Regel aber wenig später wieder gefasst. Offiziell starben in Moringen selbst 55 Jugendliche, die meisten an Krankheiten und Unterernährung. Zwei wurden ermordet, andere verübten Selbstmord. Viele Häftlinge wurden zudem in „Heil- und Pflegeanstalten“, die Lungenheilanstalt Benninghausen (NRW) oder in Konzentrationslager wie Buchenwald und Auschwitz überstellt, so u.a. im Jahr 1943 die 21 „Zigeunermischlinge“. Auch von ihnen überlebten viele nicht.

    Entlassungen kamen eigentlich nur insofern vor, als dass mehrere „reichsdeutsche“ Häftlinge in die Wehrmacht ‚entlassen’ wurden. Noch im Frühjahr 1945 wurden wohl rund 250 Jugendliche an die Front geschickt. Das KZ wurde am 6. April „evakuiert“ und die rund 500 gehfähigen Häftlinge auf nächtlichen Fußmärschen in den Harz getrieben. Erste Zwischenstation war Düderode (Kalefeld), von wo Fahrer des Guts mehrere kranke und erschöpfte Häftlinge nach Lutter am Barenberge (Landkreis Goslar) transportierten. Die übrigen mussten weiter nach Lochtum bei Vienenburg laufen. Dort flüchteten am 10. April die SS-Bewacher, die Jugendlichen konnten sich kurz darauf aus einer Scheune befreien.

    (1) So Gabriele Herz in ihren Erinnerungen "Das Frauenlager von Moringen. Schicksale früher Nazizeit". Hg.: Jane Caplan, Berlin 2009, S. 233.

    (2) Karl Dieter, Lagerkommandant des Jugend-KZ, zitiert nach Sedlaczek, Dietmar: Zwangsarbeit im Jugend-KZ Moringen (1940-1945), in: Zimmermann, Volker (Hg.): „Leiden verwehrt Vergessen“, Göttingen 2007, S. 165-184, hier 181.

     

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