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Bovenden

NS-Zwangsarbeit

Der Einsatz ausländischer Zwangsarbeiter im Flecken Bovenden erfolgte flächendeckend und in verschiedenen Bereichen entsprechend der wirtschaftlichen Struktur des Fleckens. An dieser Stelle können nur die größeren ‚Arbeitgeber’ genannt werden.

Landwirtschaft, Forst u.a.

Die Domäne Eddigehausen, seit 1942 Landdienstlehrhof der Hitler-Jugend, beschäftigte sowohl Kriegsgefangene als auch polnische Zivilarbeiter. Untergebracht wurden sie direkt auf dem Gelände. Gleiches gilt für das Gut Wintzenburg in Emmenhausen, wo sich ab 1940 eine Baracke für mindestens 20 polnische und sowjetische ZivilarbeiterInnen – unter ihnen auch Kinder – befand; überliefert sind hier Misshandlungen der Zwangsarbeiter durch den Verwalter. Auf der Domäne in Harste, die vom Staat Preußen verpachtet wurde, lebten und arbeiteten mindestens 15 polnische, russische und weißrussische Zivilarbeiter; auch unter ihnen befanden sich Kinder. Darüber hinaus gab es in Harste ein französisches Kriegsgefangenen-Arbeitskommando, dessen Insassen in der Landwirtschaft beschäftigt wurden. Auch in Lenglern bestand ein Lager für französische Kriegsgefangene, die 1943 in den Zivilarbeiterstatus überführt wurden.

In Bovenden selbst befand sich ab 1940 ein Zwangsarbeiterlager in der Gastwirtschaft Röhrig, Bahnhofstraße, und ab spätestens Ende 1941 ebenfalls eines in der Gastwirtschaft Müller. In ersterem waren insgesamt rund 30 belgische und französische Kriegsgefangene (1943 teils in den Zivilarbeiterstatus ‚entlassen’ worden) sowie niederländische ZivilarbeiterInnen untergebracht, die bei örtlichen Bauern sowie für die Gemeinde und das Forstamt Bovenden arbeiten mussten. Die Internierten aus dem Lager der Gastwirtschaft Müller wurden hauptsächlich beim Reichsbahnausbesserungswerk in Göttingen beschäftigt, teils auch in der Landwirtschaft; im einzelnen handelte es sich ab spätestens November 1941 um mehr als 110 französische und zwischenzeitlich mindestens 53 polnische ZivilarbeiterInnen, sowie ab 1944 um 80 italienische Zivilarbeiter – ehemalige Militärinternierte, die zuvor in Grone (Göttingen) beschäftigt waren.

Industrie und Forschung

Auch in industriellen Betrieben wurden Zwangsarbeiter eingesetzt. So eröffneten 1943 die für die Rüstung produzierenden Göttinger Sartorius-Werke in Bovenden eine Zweigstelle in der Schulstraße, wo sie im Jahr darauf einige italienische Militärinternierte (Offiziere) bzw. Zivilarbeiter beschäftigten.

Ein mobiles Arbeitslager der Firma Mannesmann wurde 1943 von Bühren (Dransfeld) über Güntersen (Adelebsen) in ein Barackenlager vor Harste verlegt. Die russischen Zwangsarbeiter mussten Erdarbeiten für eine Ferngasleitung ausführen und erreichten dabei Ende des Jahres Parensen (Nörten-Hardenberg).

Im heutigen Flecken Bovenden gab es darüber hinaus zwei Rüstungsprojekte, bei denen ebenfalls Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. Seit 1934 bestand bei Lenglern ein Luftmunitionslager (Muna). Die Munition wurde hier gelagert, zusammengesetzt und anschließend zum „Luftpark“ Göttingen weitertransportiert. Ab 1941 lebten und arbeiteten hier 120-150 sowjetische Kriegsgefangene sowie zumindest einige niederländische ZivilarbeiterInnen; ihre Versorgung war deutlich mangelhaft. Die Bauten der Muna wurden nach Kriegsende zum Teil von den Alliierten gesprengt. Das östliche Gelände wurde von den 1960er bis 1990er Jahren von der Garnison Göttingen als Munitionslager und Übungsplatz genutzt und ist heute Naherholungsgebiet; in den ehem. Verwaltungsgebäuden der Muna am Pappelweg entstand hingegen ein Tuberkuloseheim, das sich 1969 zum heutigen Krankenhaus an der Lieth erweiterte.

Eine unterirdische Produktion und Teststrecke (Überschallkanal) für die Rüstungsforschung wurde im Auftrag der Aerodynamischen Versuchsanstalt der Göttinger Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (AVA) im stillgelegten Kalischacht in Reyershausen geplant. Ein Lager für rund 20 osteuropäische zivile ZwangsarbeiterInnen wurde 1943 im Saal der Gastwirtschaft Degenhardt eingerichtet. Die Bauaufsicht und damit auch die Aufsicht über die Zwangsarbeiter hatte die Göttinger Baufirma Fricke. Im Jahr 1944 wurde die Bewachung im Lager verstärkt; Anwohner hatten sich beschwert, dass die Zwangsarbeiter bei Bauern im Ort versuchten, durch weitere Arbeit etwas zu Essen hinzuzuverdienen.

Unter den westlichen Zivilarbeitern bei der Reichsbahn gab es mehrere Fluchtversuche; 1944 flohen 15 Franzosen aus dem Lager der Gastwirtschaft Müller aus Bovenden. Ein sowjetischer Zivilarbeiter starb im selben Jahr im Arbeitslager (AEL) Liebenau, wo er zu Strafzwecken eingeliefert worden war und mit katastrophalen Lebens- und Arbeitsumständen zu kämpfen hatte.

Über das reine Arbeitsverhältnis hinausgehende Beziehungen zu ausländischen Zwangsarbeitern hatten auch für die/den betreffende/n Deutsche/n schwerwiegende Folgen. So wurde im Oktober 1944 die Einweisung des Ortsbauernführers aus Reyershausen in ein Konzentrationslager beantragt, weil er mit einer bei ihm beschäftigten Polin ein sexuelles Verhältnis pflegte. Eine Frau aus Lenglern wurde im September 1943 wegen eines vermeintlichen Verhältnisses zu einem französischen Gefangenen aus Harste zu mehr als einem Jahr Haft verurteilt, die sie im Zuchthaus Anrath (bei Krefeld) absitzen musste. „Das Verhalten der Angeschuldigten ist schamlos und einer deutschen Frau unwürdig. Es stellt sich als ein schwerer Fall im Sinne der über den Umgang mit Kriegsgefangenen ergangenen Vorschriften dar. Daß C[...] etwa August 1943 aus der Kriegsgefangenenschaft [sic!] entlassen ist, ändert an der Strafbarkeit der Sache nichts.“ (1) Der Franzose wurde zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt und über das Gefängnis Göttingen in das Kriegsgefangenen-Stammlager Fallingbostel überführt.

(1) So die Anklageschrift, zitiert in Günther Siedbürger 2005, 505.

 

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