Bad Gandersheim
NS-Zwangsarbeit
Auch in der landwirtschaftlich geprägten Region Bad
Gandersheim wurden während des Krieges flächendeckend
Zwangsarbeiter eingesetzt Laut einer Studie aus dem Jahr 2002
arbeiteten in den Jahren 1940 bis 1945 allein im Stadtgebiet
einschließlich Brunshausen mindestens 422 osteuropäische
ZivilarbeiterInnen - nicht eingerechnet jene aus westeuropäischen
Ländern sowie Kriegsgefangene.
Landwirtschaft und Forst
Die landwirtschaftlichen Betriebe in der Umgebung Bad Gandersheims
profitierten deutlich vom Einsatz ausländischer Zwangsarbeiter.
Vielfach kamen Zivilarbeiter privat auf den Bauernhöfen
unter; ihre ,Arbeitgeber' können an dieser Stelle nicht
im Einzelnen genannt werden, doch auch mehrere Lager sowohl für
Kriegsgefangene als auch Zivilarbeiter sind für diese Region
bekannt.
So existierte in der Ortschaft Clus ein Kriegsgefangenenlager
mit 20 inhaftierten Russen und ein Lager mit 18 Franzosen in
Dankelsheim. Insgesamt 12-15 belgische und serbische Kriegsgefangene
waren in Dannhausen untergebracht. Weitere Kriegsgefangenenlager
gab es in den Orten Heckenbeck (10-12 Serben), in Helmscherode
mit mehrere französische und vier belgische Gefangenen
und in Seboldshausen. In letzterem waren jeweils 20-24 Gefangene
untergebracht - bis 1940 polnische, anschließend französische
und ab 1943 russische Kriegsgefangene. Auch in Ackenhausen wurden die Insassen eines Kriegsgefangenenarbeitskommandos
in der Landwirtschaft eingesetzt. In einem weiteren Zivilarbeiterlager im Ort, im Arbeiterhaus Lange, lebten zumindest im März 1943 vier polnische und drei russische
Arbeiter. In Gremsheim lebten und arbeiteten 12 polnische Zivilarbeiter.
14-22 französischen Kriegsgefangenen, die ebenfalls in
Gremsheim untergebracht waren, mussten sowohl in der lokalen
Landwirtschaft als auch in Altgandersheim arbeiten. In Altgandersheim
gab es darüber hinaus ein polnisches Zivilarbeiterlager.
Weitere Lager existierten in Gehrenrode, Harriehausen
(28 bzw. 20 polnische Arbeiter) und in Hachenhausen (auf zwei
Baracken verteilt 12-18 Polen und Russen). Bei Bauer Probst in Wrescherode waren 1943 vier Polen und eine polnische Familie auf dem Hof untergebracht.
In der Kernstadt Bad Gandersheim selbst existierten zwei Lager, deren Insassen unter anderem in der Landwirtschaft arbeiten mussten: im Plangarten und im Viehhof (s.u.).
Darüber hinaus arbeiteten im Forst bei Bad Gandersheim
- ebenso wie bei Kreiensen - polnische Zwangsarbeiter der Faserholz
GmbH, einer Tochterfirma der IG Farben. Sie waren im Gasthof Siebold, Garlebsen (Kreiensen) untergebracht
Öffentlicher Sektor
Darüber hinaus waren Zwangsarbeiter in Bad Gandersheim
im öffentlichen Sektor und bei der Stadt selbst beschäftigt.
Die Stadt unterhielt ein eigenes "Ostarbeiterlager" im städtischen
Viehhof, Neue Straße. Ab Anfang der 1940er Jahre waren
im Lager russische und ukrainische ZivilarbeiterInnen untergebracht.
Beschäftigt wurden sie einerseits von der Stadt selbst,
teils wurden sie auch an private Betriebe ,verliehen' - so beispielsweise
an die Landwirtschaft, die Hauptgenossenschaft am Bahnhof und
die Firma Börger. Die Einsatzgebiete der Zwangsarbeiter
für die Stadt selbst sind nicht im Einzelnen bekannt.
Ein weiterer ,Arbeitgeber' aus dem öffentlichen Sektor
war die Reichsbahn. Ein entsprechendes Zwangsarbeiterlager befand
sich am Güterbahnhof und wurde von der Bahnmeisterei Bad
Gandersheim unterhalten. Untergebracht waren dort russische
und ukrainische - vermutlich - Zivilarbeiter.
Handwerk und Industrie
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Links: Luftaufnahme der Flachsröste im letzten Betriebsjahr 1956; rechts: Werkhallen der Flachsröste, 1938. Ob es sich bei den ArbeiterInnen um Deutsche oder ausländische Kräfte handelt, ist nicht festzustellen. (Anne-Katrin Race, Originalfotos: Museum der Stadt Bad Gandersheim)
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Einzelne Zwangsarbeiter wurden auch von zahlreichen lokalen Handwerksbetrieben, Bäckereien, Schlachtermeistern, Gastwirtschaften etc. sowie im Handel beschäftigt. Sie waren in Bad Gandersheim noch im Jahr 1944 grundsätzlich in Privatquartieren ihrer Arbeitsstätten untergebracht; diese können hier jedoch nicht im Einzelnen aufgelistet werden. Als private Haushaltshilfen wurden zudem einige "Ostarbeiterinnen" und Polinnen beschäftigt.
Das Arbeitslager Johns befand sich ab 1940 in der Kegelbahn im Plangarten bzw. im März 1943 auch in einer Baracke (dort lebten zu dem Zeitpunkt 14 Polen). Diese Zivilarbeiter mussten sowohl in der Landwirtschaft als auch bei Bauunternehmen und in Kohlehandlungen arbeiten. Weitere auf diesen Sektoren beschäftigte Ausländer waren im o.g. städtischen Lager am Viehhof untergebracht. In einem Arbeitslager bei der Motorschule, Adolf-Hühnlein-Straße, lebten darüber hinaus französische Zivilarbeiter.
In größerer Zahl waren ausländische Zwangsarbeiter
zudem in der Bad Gandersheimer Industrie eingesetzt. So beschäftigte
die Konservenfabrik Thadden & Beste in den Jahren ab 1940
mindestens 80 osteuropäische Zivilarbeiter und unterhielt
zu diesem Zweck ein eigenes Zwangsarbeiterlager auf dem Gelände
in der Gandestraße.
Die Gandersheimer Flachsröste GmbH in der Karl-Dinklage-Straße wurde nach einem Brand 1938/39 wieder aufgebaut und stellte die notwendigen Rohstoffe her, um den Flachs zu Garnen und Stoffen weiterzuverarbeiten. Der Betrieb wurde als kriegswichtig eingestuft und setzte spätestens ab Frühjahr 1940 ausländische ZivilarbeiterInnen ein. Ca. 75 Personen aus Polen, der ehem. Sowjetunion, Belgien und den Niederlanden waren sie im Lager Meierhof sowie in einem Lager in der Neuen Straße untergebracht. Darüber hinaus wurden vermutlich auch belgische und französische Kriegsgefangene zu Arbeiten in der Flachsröste herangezogen.
Entbindungsstation und "Ausländerkinderpflegestätte"
Seit Juli 1943 wurden schwangere "Ostarbeiterinnen" und Polinnen
aus dem damaligen Kreis Gandersheim häufig zur Entbindung
nach Braunschweig geschickt. Im Juli 1944 wurde im Obergeschoss
des "Fürstenhauses" des ehemaligen Klosters Brunshausen schließlich
eine eigene Entbindungsstation und Pflegestätte eingerichtet.
Träger dessen war die Kreisbauernschaft. Auf diese Weise
sollte sichergestellt werden, dass die schwangeren Frauen -
bis ca. 1943 aufgrund von Arbeitsunfähigkeit häufig
in ihre Heimat zurückgeschickt - getrennt von der deutschen
Bevölkerung entbinden und anschließend schnellstmöglich,
in diesem Fall i.d.R. nach zehn Tagen, wieder an ihre Arbeitsstätten
(hier v.a. Landwirtschaft und z.B. die Flachsröste) zurückkehren
können. Ihre Kinder verblieben derweil in der "Pflegestätte",
in diesem Fall durften sie nur sonntags von ihren Müttern
besucht werden. Die Sterblichkeitsrate war entsprechend hoch.
Mindestens 15 Säuglinge und Kleinkinder starben, einer
weiteren Untersuchung zufolge sogar bis zu 60. Sie wurden meist
ohne eigenes Grab auf dem Salzbergfriedhof in Bad Gandersheim
begraben.
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